Adoption, Zwangsadoption und missglückte Adoption sind noch immer ein Tabuthema. Sie als Form der fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen zu erforschen, ist auch deshalb notwendig, um den Opfern und Betroffenen die Würde ihrer erlittenen Erfahrung zurückzugeben und ihre Zeugenschaft ernst zu nehmen.

 

Der "Druck" zur Adoption, wessen Mütter, resp. auch Väter massiv ausgesetzt sind, ist nicht Aktenkundig. 

Um die Gewissheit einer Zwangsadoption belegen zu können, braucht es die mündliche Aussage der leiblichen Mutter, resp. des Erzeugers. 

 

Adoptierte können keine Zwangsadoption belegen. Sie können von missglückter Adoption sprechen;

von "psychischer, physischer, sowie sexueller Gewalt".

Zwangsadoptionen sind bekannt aus der Zeit des Nationalsozialismus, aus der Geschichte der DDR und BRD, England, Irland, Österreich, Dänemark, Spanien, Australien, Argentinien (siehe Desaparecidos), El Salvador, Peru, Kolumbien, Haiti, Kanada, USA, Äthiopien, Nairobi, Sudan, Somalia, Indien, Sri Lanka, Nepal, China und und ...

Fassungslos - ungläubig - traurig, ja, entsetzt scheint man jetzt wahrzunehmen, dass die vielen klagen von Zwangsadoptionsopfern, dessen Schicksale so unterschiedlich und doch so ähnlich sind, sich auch in der Schweiz ereigneten.

Februar 2004


ADOPTION HAT VIELE GESICHTER

Im 19. Jahrhundert spielten Adoptionen in der Schweiz kaum eine Rolle. Das änderte sich ab 1912 mit der Einführung des neuen Zivilgesetzbuches. Neu konnten Kinder den Eltern gegen ihren Willen weggenommen werden – meist wegen Armut oder Verwahrlosung. Die Adoption war für die Behörden eine attraktive Lösung, weil sie eine kostenlose Fremdplatzierung bedeutete. Vor allem zwischen den Kriegsjahren und den 1950er bis in die 1970er Jahre wurden in der Schweiz Tausende uneheliche und Jenische Kinder, teilweise ohne Einwilligung der Mütter, resp. Väter, zur Adoption freigegeben. Das Thema Zwangsadoption ist in der Schweiz noch wenig erforscht, wird aber als historische Tatsache seit dem 1. April 2013 anerkannt.

 

Nach Einführung der Pille Ende der 1960er-Jahre sowie dank abnehmender Stigmatisierung lediger Mütter und besserer wirtschaftlicher Lage und Sozialfürsorge wurden in der Schweiz immer weniger Kinder zur Adoption freigegeben. Adoptionswillige Eltern holten deswegen häufiger Kinder aus dem Ausland.

Das Haager Übereinkommen beendete diesen Boom der Auslandsadoptionen. Heute gibt es nur noch wenige "echte" Adoptionen. Zwei Drittel der Adoptionen sind so genannte Stiefkindadoptionen - wenn etwa der neue Partner der Mutter deren leibliches Kind aus der früheren Beziehung adoptiert. Seit Januar 2018 ist die Stiefkindadoption auch für Homosexuelle und Konkubinatspaare möglich, sowie die offene Adoption wieder anerkennt = Lockerung des Adoptionsgeheimnis.

Text: Sibilla Bondolfiextern


LIEDERLICH - SÜNDIG - ZÜGELLOS 

BALG - BASTARD

Ledige Mütter nannte man damals verächtlich "Weibspersonen, Weibsbilder, Luder, Verführerinnen" und bedachte sie mit Eigenschaften wie "verdorben, sündig, lasterhaft, gottlos, unehrenhaft, gefallsüchtig, zügellos und liederlich."

Wer ein uneheliches Kind, einen "Balg" oder "Bastard" zur Welt gebracht hatte, war eine "gefallene, gestrauchelte, entgleiste, verkommene, gefährdete Person." 

Die Position des grabschenden, verführerischen und fremdgängerischen Mannes, in einer Männer regierenden Schweiz, (erst 1971 Einführung des Frauenstimmrechts), nahm seine Ehre, als Fremdgänger und Erzeuger eines Bastard, keinen schaden an.

Ausnahme machte man bei Erzeugern die Arm, Alkoholiker, Arbeitslos oder Vagabunden waren. Sie mussten mit dem schlimmsten Rechnen. Mit administrativer Versorgung in einer Arbeitsanstalt ohne entlohnt zu werden, oder auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis versorgt. 

Baum steht in Liebefeld bei Bern. Künstler unbekannt
Baum steht in Liebefeld bei Bern. Künstler unbekannt

Zwangsadoptionen sind Mittel des staatlichen Eingriffs in das Familienleben. Aus verschiedenen politischen Gründen agiert der Staatsapparat mit der Herausnahme von Kindern aus den Herkunftsfamilien und der Fremdplatzierung in Pflegefamilien.  

Indem man die Kinder, auch von Fahrenden, in Heime und Pflegefamilien platzierte, wollte man auf diese Art, die Fahrenden Sesshaft und Mütter, resp. Väter zu brauchbaren Bürgern machen.

Wie viele Kinder aus ethischen Gründen Zwangsadoptiert wurden liegt nicht vor. 

 

Der Gedanke einer Umerziehung der betroffenen Kinder, sei es aus rassischen - kulturellen oder politischen - finanziellen Motiven, spielt bei der Zwangsadoption eine Rolle.

 

Bei der Durchführung von Zwangsadoptionen handelt es sich um den Missbrauch von staatlicher Gewalt gegenüber dem Bürger. Kennzeichnend für Zwangsadoptionen sind der gezielte Einsatz seelischer Grausamkeiten und psychischer Gewalt gegenüber betroffenen Müttern, resp. Vätern und Eltern und ihren Kindern, mit der Trennung der bestehenden familiären Bindungen und der anschließenden Ungewissheit über das Schicksal der Familienangehörigen.

Bei den rassisch - kulturell motivierten Zwangsadoptionen tritt bei den Kindern zusätzlich zur elterlichen Entfremdung das beabsichtigte Phänomen der kulturellen Entfremdung bei Sprache, Sitten, Glauben und Geschichtsinterpretation auf.


Vielen ist nicht bewusst, dass die Freiheiten die wir heute geniessen,

wie Partnerwechsel, Konkubinat, uneheliche Kinder, Abtreibungen, noch vor einigen Jahrzehnten in der Schweiz,

jedem zum Verhängnis werden konnte.


BABY UND KINDERHANDEL

Kinderlose Ehepaare wünschen sich ein Kind. Um diesen Wunsch zu erfühlen kommt eine Adoption in betracht. Solche Inserate erschienen in Schweizer Presse bis in die 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zuhauf. 
Vermittlungsstellen sprießten wie Pilze aus dem Boden. Neugeborene wurden an zahlungskräftige Adoptionseltern als Ware verkauft. Je mehr Wunsch Faktoren übereinstimmten desto teurer war ein Baby. 
Die Profiteure waren Vermittlungsstellen, Spitäler, Heime, deren Personal, sowie Heimatgemeinden und Armen- Vormundschaft. Sie profitierten mit dem Verkauf, der unter Willkür weggenommenen Babys.

Anderer Seitz gab es verzweifelte Eltern. Welche aus Armut ihr Baby verkauften und so hofften ihrem Kind eine bessere Zukunft zu gewähren. Erhielt die Wohngemeinde Kenntnis von diesem Handel, wurden die Eltern Angezeigt und mussten mit einer hohen Busse bis zu administrativer Versorgung rechnen. 

Statt Hilfe gab es Sanktionen, wo das Baby ins Heim oder zu Pflegeeltern kam und die leiblichen Eltern zu Alimentenzahlungen gezwungen wurden. Spätere Adoption war nicht ausgeschlossen. Institutionen publizierten solche Inserate auch. Ihnen drohte keine Sanktion.


WARUM ZWANGSADOPTION SCHWIERIG IST ZU ERFORSCHEN

Bis heute weiß man über Zwangsadoption als fürsorgerische Zwangsmaßnahme sehr wenig. Es gibt keine sozial geschichtliche Darstellung zum Thema, die bedeutend über journalistische Einzelfalldarstellungen hinausginge.

 

Ein Grund dafür ist folgender:

Je nachdem, wie sich die Konstellation von moralischen Wertvorstellungen und ökonomischen Interessen, wie sich die Interessenlagen der Kindsmutter und allenfalls ihrer Eltern, jene des Kindsvaters und jene der Vormundschaftsbehörden zusammenfügten, erhält jeder Zwangsadoptionsfall etwas Einzigartiges, das ihn mit anderen unvergleichbar zu machen scheint.

Umgekehrt ist aber auch wahr:

Alle Erzählungen von Zwangsadoptionen weisen trotzdem klar benennbare Muster auf, Hinweise auf wiederkehrende Player, auf konstant gleiche Interessenlagen und auf unverwechselbare, zeitbedingte gesellschaftliche Normen.

Der Grund, warum «Zwangsadoption» bis heute unerforscht ist, ist deshalb ein anderer:

Die Zwangsadoption ist eine fürsorgerische Zwangsmaßnahme, die keine aktenkundigen Sachverhaltsfeststellungen produzieren konnte. Entsprechend paradox ist die Quellenlage, denn aus der Perspektive der Akten kann es Zwangsadoption gar nicht geben. Akten verschweigen den "Zwang" durch Auslassung grundsätzlich und dokumentieren stattdessen die von der Kindsmutter unterzeichnete «Verzichtserklärung», womit die Freiwilligkeit des Vorgangs explizit ausgewiesen ist.

Umgekehrt dokumentieren die Erinnerungen der Mütter den Vorgang in dramatischer Weise:

Mütter berichten derart konkret von Einschüchterungen, Nötigungen, Drohungen, von behördlichen Halbwahrheiten und Lügen, dass die Schilderung zwar im Einzelnen unpräzis oder in gewissen Einschätzungen übertrieben oder gar falsch sein mag, aber in der Vielzahl der Berichte unmöglich erfunden sein kann.

Diese paradoxe Quellenlage mit zwei nicht oder nur am Rand kompatiblen «Wahrheiten» hat für die direkt Betroffenen und für die historische Aufarbeitung der Zwangsadoption bis heute drei Folgen gehabt:

Auf Seiten der Handelnden in den zuständigen Behörden gab es lange Zeit kein oder nur wenig Bewusstsein, dass das, was sie faktisch taten, unter «Zwangsadoption» zu subsumieren wäre. Soweit ein solches Bewusstsein vorhanden war, diente es dazu, durch aktenmäßige Dokumentierung die formale Legalität und moralische Legitimität des administrativen Vorgangs zu dokumentieren. Im schlimmen Fall konnte diese Aktenführung so in den Dienst des Täterschutzes gestellt werden. Weil zudem der Grundsatz vorausgesetzt werden kann, dass nicht in der Welt ist, was nicht in den Akten steht, hat es aus der Sicht der Akten Zwangsadoptionen auch dann nicht gegeben, wenn sie damals routinemäßig durchgesetzt worden wären.

 

Wenn Forschung im Fall der Zwangsadoption mehr und anderes will, als die damalige, zeitbedingte Ideologie der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen – den «Zeitgeist» – zu bestätigen, muss sie in einem gewissen Mass parteiisch voreingenommen die mündlichen Quellen für glaubwürdig halten, auch wenn sie der Aktenlage widersprechen. Wenn bis heute keine Sozialgeschichtlich vertiefte Monografie zur Zwangsadoption geschrieben worden ist, ist diese Quellenlage sicher ein wichtiger Grund dafür.

Quelle 2011-2015:

Informanten:

Lisa Hilafu-Brönnimann = Präsidentin Zwangsadoption-Schweiz

Frau Luther = Schweizerische Fachstelle für Adoption

Luzius Mader = Delegierter FSZM

Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren = SODK

 

Recherchiert durch:

Fredi Lerch = Journalist