1964 ERSTER ADOPTIONSSKANDAL - ALICE HONEGGER
Alice Honegger gründete 1953 mit einer Bekannten eine eigene Vermittlungsstelle für Pflege- und Adoptivkinder. Dabei vermittelten sie Kinder an Ehepaare in der Schweiz und im Ausland.
Alice Honegger musste 1964 ihre Stelle verlassen. Dies, nachdem Klagen in den Niederlanden laut geworden waren.
Die Vermittlungen seien ohne behördliche Zustimmung erfolgt. Innerhalb ihrer eigenen Vermittlungsstelle wurde ihr zudem vorgeworfen, Gelder abgezweigt und Kinder "verschachert" zu
haben. Mangels Beweise wurden die Untersuchungen gegen Alice Honegger jedoch nach fast fünf Jahren eingestellt.
Davon unbeeindruckt, eröffnete sie 1964 ihre eigene Institution: das Mütterheim "Haus Seewarte". Ledige Schwangere fanden dort Unterschlupf – und in der Fürsorgerin eine
Adoptionsvermittlerin für ihre Babys.
Viele Zeitzeuginnen berichten von massivem Druck zur Adoption.
Was trieb Honegger an? Gegenüber der Zeitschrift "Femina", sagte sie: "Für jedes Kind gibt es irgendwo Eltern." Der Artikel aus dem Jahr 1972 schildert sie als Wohltäterin, die sich
selbstlos um Mütter und Kinder kümmert. Auch sie selber nahm zwei Pflegekinder auf.
Ein anderes Licht wirft hingegen der Bericht von zwei jungen Frauen auf. Sie beschuldigten Alice Honegger 1972, von ihr um Geld betrogen worden zu sein. Und eine Hebamme beschwerte
sich beim Kanton über die "unhaltbaren bedenklichen Verhältnisse in denen die Schwangeren leben". Zudem würden Kinder "aus eigennützigen Gründen zur Adoption gelangen". Aufgrund
dieser Vorwürfe leitete das Vormundschaftsamt eine Untersuchung ein – und kam zum Schluss: Bei Alice Honegger handle es sich um eine Person mit viel Idealismus. Dieser sei aber mit
einer etwas undurchsichtigen Geschäftsführung verbunden.
Die Fürsorgerin versprach, keine schwangeren Frauen mehr aufzunehmen, worauf die Behörde den Fall zu den Akten legte. Ihre Zusage hielt sie aber nicht ein.
1973 verschärfte die Schweiz die Bestimmungen zur Adoptionsvermittlung. Wer Kinder aus dem Ausland an Schweizer Adoptiveltern vermitteln
wollte, brauchte eine Sonderbewilligung.
Diese beantragte auch Alice Honegger in St. Gallen. Mit ihrer Ausbildung und ihren Erfahrungen in der Fürsorge erfüllte sie die grundsätzlichen Anforderungen. Allerdings fielen
die angeforderten Einschätzungen über ihre Person widersprüchlich aus: Der damalige St. Galler Amtsvormund empfahl sie als "richtige Wahl"; die Vormundschaftsbehörde von Jona
riet hingegen von einer Bewilligung ab.
Obwohl Alice Honegger es verpasste, gesetzlich vorgeschriebene Dokumente wie einen Finanzplan oder Angaben zu den Tarifen einzureichen, bekam sie 1973 vom Kanton St. Gallen grünes
Licht, um ausländische Kinder in die Schweiz vermitteln zu dürfen. Jahr für Jahr aufs Neue. Dabei seien Honeggers Informationen über ihre Tätigkeiten "dürftig" gewesen; diese liessen
"mit rechnerischen Tricks und sprachlichen Verschleierungen vieles in der Schwebe".
Anfang der 80er-Jahre, wurden die fragwürdigen Adoptionen in Sri Lanka selbst zum Thema.
Alice Honegger geriet von verschiedenen Seiten unter Druck. In der Schweiz beschwerten sich potenzielle Adoptiveltern, dass ihre Vermittlung "reine Geschäftemacherei" sei. Und aus
Colombo traf 1982 die Nachricht von Botschafter Ochsenbein ein, dass Honeggers Vertrauensanwältin, Rukmani Thavanesan, zum korrupten Milieu gehöre.
Der Kanton St. Gallen entzog Alice Honegger daraufhin die Bewilligung und schaltete Interpol ein. Nach einem halben Jahr erhielt sie ihre Bewilligung zurück.
Alice Honegger ging von den Wünschen der Adoptiveltern aus und nicht vom Wohl des Kindes.
Bis 1997, als sie mit 82 Jahren verstarb, wirkte sie 44 Jahre lang als Adoptionsvermittlerin.